Sozialversicherung bei Gesellschaftern und Organen
Nachdem das Bundessozialgericht in seinem viel beachteten und von in der Tat allen Seiten massiv kritisierten Urteil vom 24.11.2005 – Az. B 12 RA 1/04 R – zu dem kaum nachvollziehbaren Ergebnis gelangt war, der Geschäftsführer einer Ein-Mann-GmbH könne gemäß § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI rentenversicherungspflichtig sein, weil er im Wesentlichen für nur einen Auftraggeber – nämlich die GmbH, deren Geschäftsführer er ist – tätig sei, wurde nicht nur unter Rechtsberatern, sondern auch bei der Deutschen Rentenversicherung und auf bundesministerialer Ebene intensiv darüber diskutiert, wie mit dieser völlig unerwartet entstandenen Problematik umzugehen sei. Allenthalben und wohl zu Recht wurde vermutet, dass das BSG sich der Tragweite seiner Entscheidung gar nicht bewusst gewesen sein dürfte.
Die Deutsche Rentenversicherung erklärte sehr bald, das Urteil nicht auf andere Fälle übertragen zu wollen. Der Bundesgesetzgeber beschloss kurzfristig, eine Gesetzesänderung herbeizuführen und tatsächlich wurden mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2006 nun auch § 2 S. 1 Nr. 9 und S. 4 Nr. 3 SGB VI dahingehend geändert, dass bei Prüfung der Rentenversicherungspflicht eines Gesellschafter-Geschäftsführers auf die Verhältnisse bei der Gesellschaft und nicht auf das Innenverhältnis zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft abzustellen ist. Das bis zu dem bezeichneten Urteil des BSG ganz allgemein vorherrschende Normverständnis ist damit festgeschrieben.
Nach einer aktuellen Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gelten die alten und neuen Kriterien im übertragenen Sinn übrigens auch für die GmbH & Co. KG. Ist etwa ein Kommanditist und zugleich Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH als deren Geschäftsführer angestellt und erbringt die GmbH außer der Geschäftsführung der KG keine weiteren Leistungen, hat sie keine weiteren Auftraggeber und beschäftigt sie keine Arbeitnehmer, soll dennoch und wie im Fall der Ein-Mann-GmbH auf die Außenverhältnisse der KG abzustellen sein. Ist diese für mehrere Auftraggeber tätig, unterliegt der Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Komplementär-GmbH nicht der Rentenversicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI.
Die durch das BSG gestiftete Verwirrung und die erfreuliche Klarstellung durch den Gesetzgeber sollen Anlass für eine kurze Übersicht über die Grundfragen der Sozialversicherung bei Gesellschaftern und Organen sein:
GmbH-Geschäftsführer
Geschäftsführer einer GmbH, die nicht zugleich deren Gesellschafter sind (Fremdgeschäftsführer), sind als leitende Angestellte zu qualifizieren und damit Arbeitnehmer im Sinne der Sozialversicherung. Für sie besteht regelmäßig Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung. Eine etwaige Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung ist davon abhängig, ob das regelmäßige Arbeitsentgelt des Fremdgeschäftsführers die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 SGB V übersteigt.
Geschäftsführer einer GmbH, die zugleich deren Gesellschafter sind (Gesellschafter-Geschäftsführer), sind keine Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts. Sie können dennoch versicherungspflichtig in der Renten- und Arbeitslosenversicherung sein. Die diesbezügliche versicherungsrechtliche Beurteilung ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Maßgeblich sind typischer Weise der Anteil an dem Kapital der Gesellschaft oder das Bestehen von Sperrminoritäten, die Befreiung von dem Verbot der Selbstkontrahierung (§181 BGB) sowie der Umfang der Bindung an Art, Zeit, Ort und Dauer der Arbeitsleistung. In besonderen Konstellationen wie etwa einer Familiengesellschaft können weitere Faktoren eine Rolle spielen. Eine Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung besteht für Gesellschafter-Geschäftsführer nicht.
Zu beachten ist, dass § 7a Abs. 1 S. 2 SGB IV seit dem 01.01.2005 ein obligatorisches Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund für geschäftsführende Gesellschafter einer GmbH vorsieht.
Vorstandsmitglieder einer AG
Vorstandsmitglieder einer AG sind wegen Beschäftigungen bei dem Unternehmen, zu dessen Vorstand sie gehören, nicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig (§ 1 S. 4 SGB VI, § 27 Abs. 1 Nr. 5 SBG III). Konzernunternehmen (§ 18 AktG) gelten dabei als ein Unternehmen. Wegen anderer Beschäftigungen können Vorstandsmitglieder einer AG renten- und arbeitslosenversicherungspflichtig sein. Eine Ausnahmeregelung sieht § 229 Abs. 1a SGB VI nur für Vorstandmitglieder vor, die am 06.11.2003 wegen einer vormals anderen Regelung in einer weiteren Beschäftigung nicht versicherungspflichtig waren.
Wegen der Frage der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung gelten die selben Grundsätze wie bei GmbH-Geschäftsführern.
Vereine und Genossenschaften
Die für Vorstandsmitglieder einer AG geltenden, besonderen Regeln finden keine Anwendung auf Vorstandsmitglieder von Vereinen und Genossenschaften. Für diese gelten die ganz allgemeinen Grundsätze, so dass eine Versicherungspflicht im Fall der Tätigkeit gegen Entgelt regelmäßig besteht.
Geschäftsführer einer GmbH & Co. KG
Geschäftsführer einer GmbH & Co. KG unterliegen der Sozialversicherungspflicht, wenn sie nicht einen beherrschenden Einfluss in der Komplementärgesellschaft (GmbH) haben und zugleich über diese Gesellschaft maßgeblichen Einfluss auf die KG nehmen und dort entsprechende Lenkungsmacht entwickeln können.
Mitarbeitende Gesellschafter einer GmbH
Wie im Fall der Gesellschafter-Geschäftsführer schließt die Beteiligung an einer GmbH die Sozialversicherungspflicht bei gleichzeitiger Tätigkeit für die Gesellschafter nicht per se aus. Eine Versicherungspflicht besteht vielmehr immer dann, wenn mitarbeitende Gesellschafter funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozess des Betriebs teilhaben, hierfür eine entsprechende Vergütung erhalten und vor allem keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft haben.
Sonstige Mitunternehmer
Sonstige Mitunternehmer sind trotz ihrer Eigenschaft als Gesellschafter regelmäßig sozialversicherungspflichtig, wenn sie in einem weisungsabhängigen Beschäftigungsverhältnis zu der Gesellschaft stehen, nur mit ihrer Einlage haften und über ein Stimmrecht in der Gesellschaft von weniger als 50 Prozent verfügen.
Für Gesellschafter einer GbR gilt daher wegen ihrer uneingeschränkten persönlichen Haftung, dass grundsätzlich keine Sozialversicherungspflicht besteht.
Auch für Gesellschafter einer OHG und für Komplementäre einer KG gilt wegen der unbeschränkten persönlichen Haftung nichts anders.
Kommanditisten einer KG, die als Geschäftsführer oder sonst im Betrieb der Gesellschaft gegen Entgelt beschäftigt werden, sind dagegen grundsätzlich versicherungspflichtig. Anderes kann nur gelten, wenn Kommanditisten lediglich aufgrund des Gesellschaftsvertrages zur Mitarbeit verpflichtet sind und die diesbezügliche Vergütung als vorweggenommene Beteiligung an dem Gewinn anzusehen ist oder wenn Kommanditisten mit Zustimmung aller Gesellschafter und von den persönlich haftenden Gesellschaftern unabhängig geschäftsführend tätig sind.
12 Gedanken zu "Sozialversicherung bei Gesellschaftern und Organen"
Ein wirklich interessanter Überblick!
[…] Ostermaier Reaktionen auf diesen Beitrag via RSS 2.0 Bitte kommentieren Sie oder diskutieren via Trackback weiter! Das könnte Sie auchintessieren: […]
Die Verwendung des roten Kreuzes auf weißem Grund ist eine unzulässige Benutzung des Wahrzeichens des Roten Kreuzes und in Deutschland durch den §125 OWiG verboten.
Sven,
ich danke Ihnen für diesen Hinweis, den immerhin der grundsätzliche juristische Bezug mit dem von Ihnen kommentierten Beitrag verbindet.
Allerdings liegt hier kein unbefugtes Benutzen im Sinne der von Ihnen zitierten Vorschrift vor, weil der Anschein einer „amtlichen“ Benutzung nicht entstehen kann.
Kein Grund zur Sorge also.
Klasse Überblick!
Ich habe noch eine Frage zu Fremdgeschäftsführern:
Für sie besteht regelmäßig Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung. ???
und unregelmässig? Gibt es Ausnahmetatbestände?
Mit Dank und freundlichem Gruss,
Kristof Ital
mobil +178-5557610
Es gibt Ausnahmen, etwa wenn Fremdgeschäftsführer über eine Position verfügen sollten, die der Sperrminorität eines (Minderheits-)Gesellschafters nachgebildet sein sollte oder wenn sie über für die Gesellschaft unersetzliche Befähigungen verfügen. Solche Ausnahmen sind aber höchst selten. Fremdgeschäftsführer können eben regelmäßig nicht damit rechnen, versicherungsfrei zu sein.
Hallo,
eine schöne Kurzübersicht.
Wie steht es um die Versicherungspflicht bei folgendem Fall:
– GmbH & Co KG
– die GmbH hat 0 Anteile, die Kommanditistin 100% Anteile
– lt Gesellschaftsvertrag ist der Komplementär zur Geschäftsführung befugt und verpflichtet. Kommanditist hat nur die Möglichkeit über 164 HGB einzugreifen
– die Kommanditistin arbeitet im Betrieb und herrscht über den organisatorischen-verwaltenden Bereich, der Komplementär kümmert sich praktisch lediglich um den fachlichen Bereich
– die Kommanditistin entnimmt mtl über das Kapitalkonto II Gelder, über die Jahre in nicht gleichengroßen Beträgen
Wie kann ich keine Versicherungspflicht der Kommanditistin begründen.
Besten Dank.
@Sandro: Ich bedaure, das ist eine nicht pauschal richtig zu beantwortende Frage in einer hoch komplexen Materie, die über den Meinungs- und Informationsaustausch in einem Blog hinausgeht und die nur im Wege qualifizierter Beratung beantwortet werden kann.
[…] Geschäftsführer einer GmbH keine Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts. Wir hatten uns hier aber schon einmal mit der Frage beschäftigt, ob und wann sie Arbeitnehmer im Sinne des […]
Versicherungspflicht in der KV bei Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften
Die dargestellte Meinung widerspricht der direkten Auslegung des SBG V, der Rechtsprechung und der Kommentierung (Kasseler Kommentar und Peters). Womit wird die Meinung begründet, insbesondere die Abweichung gegenüber Renten- und Arbeitslosenversicherung ?
Hallo! Auch ich muss sagen: Klasse Übersicht!
Ich habe einen Spezialfall:
Vater=Betriebsínhaber eines Gewerbebetriebes ist am 01.07.2009 gestorben. Kein Testament etc. Gesetzliche Erben sind Ehefrau und 2 Kinder = Erbengemeinschaft. Die 2 Kinder sind im Betrieb des Vaters (Erblassers) angestellt und bekommen Gehalt. Erbengemeinschaft ist mit Vertrag vom 30.09.2009 rückwirkend zum Todestag auseinandergesetzt. Die 2 Kinder bekommen je 1/2 des Betriebes und bilden zukünftig eine GbR. Während der Zeit der Erbengemeinschaft ist weiterhin Gehalt an die Kinder gezahlt worden und LSt sowie SV-beiträge einbehalten worden.
FRAGE: Sind die Kinder seit dem Todestag des Vaters überhaupt noch SV-pflichtig, da Sie ja als Mitunternehmer (der Erbengemeinschaft) gelten. Sind die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit der Kinder rückwirkdend ab 01.07.2009 in Einkünfte aus Gewerbebetrieb umzuqzualifizieren?
Danke schonmal für Eure Tipps!
Viele Grüße
Dan.
Verstehe ich es richtig, dass ein Kommanditist einer KG, der per Gesellschaftervertrag zur Mitarbeit verpflichtet ist, grundsätzlich nicht rentenversicherungspflichtig ist? Oder darf die GRV den Kommandisten zudem noch als arbeitnehmerähnlichen Selbständigen betrachten und von ihm einfordern, die Einkünfte offen zu legen, um die 1/6-Regelung zu überprüfen?